Bei den Westen nichts Neues: Aktualisierter Blick auf die Wiesbadener Gelbwesten

Für den 25.05.19 plant die Gruppe “Wir sind viel mehr” (WSVM) erneut eine Demonstration in Wiesbaden; der mittlerweile vierte Aufmarsch der Gruppe, die bereits in der Vergangenheit keine Probleme mit extrem rechten Akteuren auf ihren Veranstaltungen, mit rassistischer Propaganda in ihren Kommunikationskanälen oder mit verschwörungsideologischen und geschichtsrevisionistischen Posts in ihren Chats hatte. Trotz gegenteiliger Bekundungen und Bitten der Hauptorganisatorin Sandra Scheld, allzu offene Bezüge zur extremen Rechten zurückzustecken, zeigt sich immer wieder klar, wo die Organisator*innen wie auch das angesprochene Publikum zu verorten ist.

Flyerverteilung für Gelbwesten-Demo am 25.05.19 mit Poloshirt der “Identitären Bewegung”. Davor links: Sandra Scheld, WSVM-Organisatorin.

 

Identitäre Bezugspunkte und antimuslimischer Rassismus bei WSVM

Im Vorfeld der Demonstration am 25. Mai war eine Delegation von WSVM, darunter Sandra Scheld, Inge Steinmetz und Martina Sieler, in der Wiesbadener Innenstadt unterwegs, um Flyer zu verteilen und zur ihrem Aufmarsch zu mobilisieren. Auffällig war dabei, dass eine der anwesenden Personen ein Polo-Shirt mit dem Logo der “Identitären Bewegung” (IB) offen zur Schau stellte. Das Lambda-Symbol der IB schien jedoch nicht zu stören [1]. Ihr Kopf im deutschsprachigen Raum, der Österreicher Martin Sellner, sorgte erst kürzlich für Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass er nicht nur eine größere Spende vom sog. Christchurch-Attentäter erhielt, sondern mit diesem noch im freundschaftlichen Austausch via Email stand. Nicht verwunderlich, bezog sich der Rechtsterrorist B.T. doch explizit auf die propagierte Weltsicht der IB und nahm ein zentrales Element dieser, den vermeintlich drohenden “Großen Austausch”, als eine Grundlage für sein menschenverachtendes Verbrechen, dem 50 muslimische Menschen zum Opfer fielen [2]. Insbesondere Scheld hat dem Anschein nach kein Problem mit der IB. Vielmehr findet sie den Aktivismus der Gruppierung gut, wie in der Telegram-Gruppe der hessischen Gelbwesten zu sehen ist. Andere Mitglieder der Gruppe sprachen explizit von ideologischen Überschneidungen mit dem Rechtsterroristen [3].

Der WSVM-Organisatorin Scheld gefällt eine Aktion der “Identitären Bewegung” aus Bayern Ende März 2019.

 

So hat auch kaum verwunderlich antimuslimischer Rassismus bei den Gelbwesten Hessen Platz. Anhänger, die auch bei den Demos in Wiesbaden dabei waren, fantasieren bspw. offen darüber, zu Beginn des Ramadans Grillfeste mit Schweinefleisch vor muslimischen Gebetshäusern zu veranstalten, per Flugzeug Schweineblut oder gleich Raketen mit Schweinespeck auf Moscheen zu feuern. Der Islam wird als “Pest der Neuzeit” bezeichnet, Muslime (wie auch “Schwarzafrikaner” und “Araber”) als feindliche Invasoren gezeichnet und offen mit Gewalt gegenüber muslimischen Menschen gedroht. Die ideologische Nähe von WSVM/Gelbwesten Hessen, IB bis hin zu dem rechtsterroristischen Christchurch-Attentäter werden so in der weniger öffentlichen Kommunikation der Organisator*innen und Anhänger*innen im Telegram-Kanal offenbar.

 

Ein regelmäßiger Teilnehmer der WSVM-Aufmärsche in Wiesbaden fände es gut, wenn es über einer Moschee Schweineblut regnen würde.

Zu Beginn des Ramadans wird sich darüber ausgetauscht, wie mit Raketen und Schweinespeck Moscheen und Muslime beschossen werden können.

 

Das extrem rechte Netz und die Täter-Opfer-Umkehr von WSVM

Hier finden sich dann auch kontinuierlich weitere Bezüge zu extrem rechten Gruppierungen und ihren weltanschaulichen Elementen. So wird der geschichtsrevisionistische und holocaustrelativierende Mythos des “alliierten  Bomben-Holokaust” (sic!) bedient [4], extrem rechte Videos der Hammerskins-Band “Division Germania” oder des NS-Rapper MaKss Damage geteilt oder das identitäre Medienprojekt “Okzident Media” [5] beworben. Auch NPD-Funktionär Daniel Lachmann kann für das NPD-Projekt der “Schutzzonen” werben [6]. Dieses Projekt ist zuvorderst eine Social-Media-Kampagne, für die auch bereits mehrmals Fotos in Wiesbaden geschossen wurden: NPD- und JN-Mitglieder fotografieren sich bei vermeintlichen Patrouillen in roten Westen und verbreiten diese Selbstinszenierung im Netz mit dem Narrativ, in Zeiten der angebliche zunehmenden Unsicherheit durch Migration sorge die NPD im Stile einer Bürgerwehr aktiv für den Schutz der deutschen Bevölkerung. Spannend wird, ob die NPD-Mitglieder, die an solchen Aktionen teilgenommen haben und sich laut Facebook-Veranstaltung für die Demonstration von WSVM am 25.05.19 interessieren, mit ihren roten oder mit gelben Westen in Erscheinung treten werden.

NPD-Funktionär Daniel Lachmann wirbt für die Social-Media-Kampagne “Schutzzonen” der NPD/JN.

 

Trotz der eindeutigen Bezugnahme und bereits bekannten Vernetzung der WSVM-Organisatorin Sandra Scheld mit Akteuren der extremen Rechten wird sie nicht müde zu betonen, dass es sich bei WSVM um einen Protest aus der “Mitte” handle, der für soziale Gerechtigkeit eintrete. Öffentlich wird bekundet, man sei lediglich Opfer einer angeblich koordinierten Kampagne von den “Altparteien”, der “Lügenpresse”, antifaschistischen Bündnissen usw. Gleichzeitig werden jedoch Berichtende, die sich kritisch mit dem Demonstrationsgeschehen sowie der Gruppierung insgesamt auseinandersetzen, wie auch Gegendemonstrant*innen diffamiert und bedroht. Ein Teilnehmer der WSVM-Demonstrationen bezeichnet sich selbst online als “Antifa Schlächter”, andere träumen von einem “Marshallplan zur Vernichtung der Antifa”; ohnehin sei “die Antifa” der eigentliche neue Faschismus. Während sich Sandra Scheld und Anhänger*innen von WSVM also öffentlich als Opfer inszenieren, wollen andere endlich zur Tat schreiten. So lässt sich die für die extreme Rechte klassische Umkehrung von Täter*innen und Opfern beobachten.

Die WSVM-Organisatorin Scheld plädiert für den Suizid ihrer politischen Gegner*innen, denen sie eine Rufmord-Kampagne unterstellt. Darunter: Eine Verteidigungsrede, gegen die Distanzierung von Rechtsaußen.

Vernichtungsfantasien werden offen geäußert, politische Gegner*innen und kritische Berichterstattende werden diffamiert und bedroht.

 

Wolf im Schafspelz? Bei den Westen nichts Neues

Zusammenfassend zeigt sich auch bei einem aktualisierten Blick, dass die Wiesbadener Gelbwesten um die Gruppe WSVM keine Kontaktscheu mit der extremen Rechten haben. Zwar wird vordergründig mit unverfänglichen Themen wie soziale Gerechtigkeit, Dieselfahrverbote oder der 5G-Netzausbau (hinter dem ein Plan zur Schädigung und Vernichtung der deutschen Bevölkerung vermutet wird…) versucht, möglichst viele Menschen zu erreichen. Der Kurs zeigte sich jedoch von Beginn an klar: Eingebunden in das regionale Netzwerk rassistischer Mobilisierung, finden sich in der internen Kommunikation sowie bei den Anhänger*innen von WSVM durchgängig rassistische, extrem rechte Ideologiefragmente, Anknüpfungen an (neu)rechte Diskurse und menschenverachtende Gewaltfantasien. Kurzum: Nichts Neues für die Wölfe im Gelbwesten-Schafspelz.

 

 

*UPDATE*

Nach erscheinen des Artikels wurde die Telegram-Gruppe der “Gelb Westen Hessen” zunächst inhaltlich bereinigt und in eine Vorgruppe umfunktioniert, um “Zecken” auszusortieren. Mittlerweile ist sie gar nicht mehr auffindbar. Martina Sieler, eine der Mitorganisatorinnen von WSVM, begründet dies mit der Veröffentlichung von Screenshots der Gruppenkommunikation. Während die WSVM-Initiatorin Sandra Scheld, um sich und ihre Gruppierung reinzuwaschen, von “Fakes” spricht, legt das “Aufräumen” des Chats doch nahe, dass hier Belege vernichtet werden sollten.

Bereinigung der Kommunikation und erhöhte Sicherheitsvorkehrungen sollen die “Gelb Westen Hessen” vor “Zecken” schützen.

 

 

 

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[1] Noch besser zu erkennen in einem Tweet von 161Rheingau / @1Rheingau:

[2] Die IB und das Attentat von Christchurch:

https://www.belltower.news/christchurch-die-saat-der-identitaeren-bewegung-geht-auf-teil-1-82775/

[3] Dokumentiert sind die Äußerungen hier:

[4] Der neonazistischen Opfermythos “Dresden”: https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2019/02/16/nazis-propagieren-dresdner-opfermythos_28079

[5] Okzident Media wird vom Vorsitzenden der IB Deutschland betrieben: https://www.endstation-rechts.de/news/ib-nahes-unternehmen-wirbt-in-schulbuechern.html

[6] Zur Einordnung der Schutzzonen:

https://www.der-rechte-rand.de/archive/4181/wieder-mal-auf-dem-weg-in-die-bedeutungslosigkeit/

https://www.belltower.news/die-schutzzonen-der-npd-vorbestrafte-neonazis-fuer-rassistische-sicherheit-78609/

https://merkurist.de/wiesbaden/buergerwehr-npd-schutzstreifen-beschaeftigen-auch-die-wiesbadener-polizei_pXg