Aktion der “Identitären Bewegung” in Wiesbaden: Ein Blick hinter die Fassade

Am 08.06.2018 veranstaltete die sog. “Identitäre Bewegung” (IB) einen “Flashmob” vor dem Rathaus in Wiesbaden. Der Anlass war dabei der Mord an Susanna F. in Wiesbaden-Erbenheim, für welchen sich ein aus dem Irak Geflüchteter dringend tatverdächtig zeichnet. Ihr Ziel war dabei, den Mord an Susanna F. für ihre rassistische Agenda zu instrumentalisieren. Der folgende Artikel soll einige Schlaglichter auf die Aktion und beteiligte Personen werfen.

Konzertierte Aktion in Wiesbaden statt spontaner “Flashmob”: Reisekader der IB instrumentalisieren Mordfall für ihre rassistische Agenda.

 

An der Aktion der IB nahmen ca. 8-10 Personen teil. Sie hielten ein Transparent mit der Aufschrift “Remigration. Multikulti ist gescheitert” hoch, verteilten Flugblätter der Kampagne “120db” und riefen Parolen wie “Festung Europa! Macht die Grenzen dicht!”. Die Aktion dauerte insgesamt nur wenige Minuten und wurde im Nachgang zu einem IB-typischen, knapp 1 ½ minütigen Video zusammengeschnitten. Über den YouTube-Kanal der IB Hessen verbreitete sich das Video relativ schnell, wenngleich mit Blick auf andere IB-Aktionsvideos weniger weit.

Die IB versteht sich darauf, Aktionen für ihre Internetauftritte zu produzieren. Dabei geht es weniger um die direkte Wirkung auf der Straße, sondern um die Inszenierung im Web. Sie versuchen so, sich als entschlossene, große und besonders aktive “Bewegung” darzustellen. Schaut man hingegen auf das tatsächliche Personenpotenzial im Rahmen von “Großdemos” mit selten mehr als 1000 Teilnehmenden oder auf die aktiven Personen, wird schnell deutlich, dass es sich bei der IB vielmehr um eine faschistische Kaderorganisation als um eine “Bewegung” handelt. Auch eine kontextualisierende Analyse des Videos der Aktion in Wiesbaden macht dies deutlich und zeigt exemplarisch, wie ihre vermeintliche Distanzierung von der sog. “alten Rechten”, von Neonazis und Kameradschaften nicht mehr als ein Feigenblatt ist.

Anwesend war z.B. Reinhild Boßdorf aus Bonn. Sie verteilte vornehmlich Flyer der identitären Kampagne “120db”, welche vor einigen Monaten ins Leben gerufen wurde. Dahinter steckt der Versuch, in Anlehnung an #MeToo, Betroffene sexualisierter Gewalt zu Wort kommen zu lassen; jedoch mit der Einschränkung, dass lediglich sexualisierte Gewalt von “Fremden” thematisiert wird. Gerahmt wird die Erzählung von dem rassistischen Narrativ, dass Frauen heute zuvorderst von sexualisierter Gewalt durch Geflüchtete und Migranten bedroht seien. Nach eigenem Bekunden leitet sich der Name der Kampagne von der Lautstärke eines handelsüblichen Taschenalarms ab, der in den letzten Jahren zu einem alltäglichen Begleiter von Frauen geworden sei. Die Kampagne hat so zum Ziel, sexualisierte Gewalt rassistisch zu konnotieren und eindimensional “dem Fremden” zuzuschreiben. Boßdorf ist im Kontext dieser Kampagne, aber auch darüber hinaus, schon mehrfach als Identitäre in Erscheinung getreten. So war sie u.a. auch an einer Aktion am 19.05.2017 vor dem Bundesjustizministerium beteiligt. [1] Erst kürzlich beschwerte sie sich in mehreren rechten Vlogs auf YouTube darüber, bei dem “Festival Contre Le Racisme” in Bonn im Rahmen eines Workshops zum Thema “Frauen in der rechten Szene” als Identitäre erkannt und des Raumes verwiesen worden zu sein.

Reinhild Boßdorf bei der Verteilung der “120db”-Flyer in Wiesbaden.

Als Aktivistin im Rahmen der Kampagne “120db” trat Boßdorf häufiger in Erscheinung.

Im Interview mit rechten Vloggern schilderte Boßdorf den gescheiterten Versuch, an einem antirassistischen Workshop teilzunehmen.

 

Ein weiterer Teilnehmer an der Aktion war Heinrich Mahling. Der in Marburg wohnhafte Mahling ist als Regionalleiter eine zentrale Figur der hessischen Identitären. Bereits seit 2016 auf IB-Veranstaltungen anzutreffen, hat seine Aktivität vor allem seit 2017 stark zugenommen. So war er an der Gründung der IB-Ortsgruppe in Marburg beteiligt, fuhr zu Demos und Aktionen nach Berlin – u.a. auch zur Aktion vor dem Bundesjustizministerium – und initiierte am 08.03.2018 federführend eine Aktion am Frankfurter Hauptbahnhof. Mahling ist zudem bei der Marburger Burschenschaft Germania aktiv. Diese ist bekannt als Sammelbecken extrem rechter Aktivisten, von JA/AfD über die IB bis neonazistische Kameradschaften: Torben Braga ist mittlerweile Berater von Björn Höcke, Philip Stein leitet die extrem rechte Vernetzungsorganisation “Ein Prozent”. Der Rapper “Komplott”, mit bürgerlichem Namen Patrick Bass sowie Vergangenheit als “Autonomer Nationalist”, macht den Soundtrack und Tobias Sauer hält als ehemaliger JN-Stützpunktleiter, Gründer der “AG Schwaben” und Anmelder neonazistischer Aufmärsche Verbindungen zu Kameradschaftsstrukturen und zur Partei “Der dritte Weg”. [2] Auf dem Haus der Burschenschaft Germania fand 2017 zudem der Landeskongress der JA Hessen statt. Anwesende Fotograf*innen wurden von den teils maskierten Teilnehmenden mit Schlagstöcken und Pfefferspray angegriffen. [3]

Heinrich Mahling war bei der Aktion in Wiesbaden Sprecher und gab die Parolen vor.

Mahling ist eines der wenigen öffentlich bekannten Gesichter der IB in Hessen. Hier auf einem Sticker in Reaktion auf ein Outing.

 

Neben Mahling zeigt auch ein weiterer Teilnehmer des “Flashmobs” in Wiesbaden, wie stark die Vernetzung zwischen den vermeintlich nicht zu vereinbarenden, verschiedenen Spektren der extremen Rechten ist. Der aus Wiesbaden stammende und mittlerweile in Marburg studierende Axel Ziemann besuchte zur IB-Aktion seine alte Wirkstätte. Ziemann nahm schon 2012/13 an NPD und JN Veranstaltungen in Wiesbaden, Worms, Alzey und Heidelberg teil, fotografierte auf Demos Gegendemonstrant*innen und betrieb zwei rechte Websites, auf denen er u.a. die “Volkstod-Kampagne” propagierte oder unliebsame Kommunalpolitiker*innen bedrohte. [4] Wie sein Facebook-Profil zeigt, ist er auch heute noch mit (ehemaligen) Kadern der JN-Hessen vernetzt, wie bspw. Maximilian Reich, Betreiber des Neonazi-Shops “Revoltopia” und führender Kopf des sog. “Antikapitalistischen Kollektivs” (AKK). Mittlerweile ist Ziemann Aktiver der Marburger Burschenschaft Rheinfranken, die ebenfalls ein Sammelbecken der extremen Rechten darstellt und freundschaftliche Beziehungen zur Burschenschaft Germania unterhält. Ziemann selbst pflegt zudem gute Kontakte zu Mitgliedern der Partei “Der dritte Weg” und nahm nur einen Tag nach der Aktion in Wiesbaden als Gast an einem Neonazi-Kampfsportevent im sächsischen Grünhain teil. Dabei begleitete er einen der Kämpfer der “AG Körper & Geist” von “Der dritte Weg”, welche auch “Selbstverteidigungskurse” für Kinder anbietet. [5]

Axel Ziemann, hier links im Bild, am Transpi beim “Flashmob” der IB.

Ziemann in der Mitte des Bildes, in Begleitung von Neonazis der Partei “Der dritte Weg”; Kämpfer rechts mit T-Shirt der “AG Körper & Geist”, Besucherin links mit verbotener Wolfsangel-Kette.

Bilder von Ziemanns FB-Profil verraten: Er trägt gerne seine Cap von Heckler & Koch, einer deutschen Waffenschmiede.

 

Allein diese relativ kurze und schlaglichtartige Betrachtung der Akteur*innen des „Flashmobs“ in Wiesbaden zeigt zwei zentrale Punkte für die Analyse identitärer Aktionen im Besonderen, aber auch extrem rechter Selbstinszenierung im Allgemeinen auf. Wenngleich die IB regionale Ereignisse nutzt, um in für das Netz inszenierten Aktionen ihre Propaganda zu verbreiten, so besteht sie doch vorrangig aus vergleichsweise wenigen, reisefreudigen Kadern und ist eben keine reale “Bewegung”. Selbstredend dürfen ihre Wirkung und das große Umfeld von Sympathisant*innen nicht verharmlost werden. Denn wie „erfolgreich“ ihr – nach einer alten NPD-Strategie – „Kampf um die Köpfe“ ist, lässt sich daran ablesen, dass weite Teile der AfD die Propaganda der IB in die Parlamente tragen und ihre Narrative zusehends in den gesellschaftlichen Diskurs einfließen. Die Aktion zeigt daneben auch, dass die Distanzierung in Wort und Erscheinung von der sog. „alten Rechten“ nicht mehr als strategisch ist. Zwar spricht die IB lieber von „Austausch“ als „Überfremdung“ oder von „Kultur“ statt „Rasse“, dahinter stehen jedoch die alten, völkisch-rassistischen Weltbilder. Nicht nur wurde ein nicht geringer Teil der IB-Kader in neonazistischen Strukturen und Organisationen politisch sozialisiert; für sie besteht auch kein Problem darin, diese Netzwerke weiter zu pflegen und gleichzeitig die Fassade des Harmlosen aufrechtzuerhalten. Hinter diese Fassade gilt es auch weiterhin zu schauen und den faschistischen bzw. neonazistischen Kern herauszuarbeiten.

 

 

 

__

[1] https://www.antifa-berlin.info/recherche/1369-19052017—identitren-aktion-am-innenministerium

[2] https://stadtlandvolk.noblogs.org/post/2017/04/18/die-burschenschaft-germania-marburg-und-ihr-extrem-rechtes-netzwerk/

Antifaschistischer Jahresbericht 2014 – Marburg

Warum die Burschenschaft Germania kein Naziproblem hat, sondern eines ist

[3] https://stadtlandvolk.noblogs.org/post/category/landeskongress-der-jungen-alternative-hessen-auf-dem-germanenhaus/

[4] https://outingarchiv.noblogs.org/post/2013/03/11/axel-ziemann-wiesbaden-neonazi/

[5] https://runtervondermatte.noblogs.org/das-extrem-rechte-kampfsportturnier-tiwaz-kampf-der-freien-maenner/