Gelbe Westen in Wiesbaden: “Hand in Hand” und “Wir sind viel mehr”

Während die Proteste der “Gelbwesten” in Frankreich sich vorrangig gegen die Politik Macrons wenden und eine sehr heterogene Bewegung darstellen, griffen bundesweit vor allem rechte und extrem rechte Gruppierungen die gelben Westen als Erkennungszeichen auf. So ist es nicht verwunderlich, dass auch die Erbenheimer Gruppe “Hand in Hand” bereits einige Male als Gelbwesten durch Wiesbaden und Mainz lief. Am 19.01.19 nun soll eine Demonstration in Wiesbaden stattfinden, zwar beworben von “Hand in Hand”, organisiert aber von einem bis dato unbekannten Personenkreis, der sich über eine geschlossene Facebookgruppe organisiert: “Wir sind viel mehr” nennen sie sich. Es lohnt ein genauerer Blick.

Die Erbenheimer Gruppe “Hand in Hand” bewirbt die Veranstaltung von “Wir sind viel mehr”, mobilisiert aber selbst für eine Kundgebung in Berlin.

 

“Hand in Hand” organisiert bereits seit einigen Monaten Kundgebungen und Demonstrationen im Wiesbadener Stadtgebiet. Zudem reisten sie in der Vergangenheit nach Mainz und Hanau, um dort Kundgebungen zu unterstützen. Im Dezember 2018 traten sie vor allem mit Spaziergängen in Wiesbaden und Mainz hevor. Dabei nutzten sie gelbe Westen, angelehnt an die gleichnamige Protestbewegung in Frankreich. Organisiert via einer Chatgruppe beim Messengerdienst Telegram war es ihnen so auch möglich, weitere Personen anzusprechen und relativ spontan Aktionen zu planen. Einen größeren Personenkreis konnten sie jedoch nicht mobilisieren. Vielmehr waren es alte Bekannte wie “Wir schaffen das/Abendland Hessen/Deutschland” oder die selbsternannte Satirikerin Inge Steinmetz aus Oestrich, welche die Aktionen unterstützen.

Yvonne Csokova von “Hand in Hand”, Martina Sieler von “Wir schaffen das” und die “Satirikerin” Inge Steinmetz in gelben Westen in Wiesbaden.

Links: Yvonne Csokova und Inge Steinmetz mit weiteren Mitstreiter*innen aus Wiesbaden und Mainz in der Mainzer Fußgängerzone.

 

Seit Mitte Dezember kursiert der Aufruf zu einer Demonstration in Wiesbaden für den 19.01.19. Zwar teilte “Hand in Hand” den Aufruf, doch mobilisieren sie selbst zu einer Demonstration in Berlin. Neben Personen und Gruppen, mit denen bereits in der Vergangenheit eine Zusammenarbeit stattfand, wie Ernst Cran, “Robert” von der “Leine des Grauens” oder “Patrioten NRW”, ist auch der unter dem Pseudonym “Volkslehrer” aktive Nikolai Nerling aus Berlin mit von der Partie. Einigen Menschen aus Wiesbaden ist er bereits bekannt: So bedrängte er Personen auf dem Wiesbadener Südfriedhof, welche die Folgen eines holocaustrelativierenden Aufrufs von “Lebensschützern” beobachteten. Darüber hinaus solidarisiert sich Nerling “offen mit verurteilten Holocaustleugner*innen, lässt sich mit Hitlergruß ablichten und bezeichnet die Geschichte des Holocaust als ‘eine Geschichte voller Lügen’. ‘Alienpyramiden’, ‘Neue Weltordnung’ und die angebliche ‘Umvolkung’ sind nur einige weitere Schlagwörter seines rassistischen und antisemitischen Verschwörungswahns”. [1]

Aufruf von “Hand in Hand” und ihrem extrem rechten Netzwerk für den 19.01.19 in Berlin.

 

Während “Hand in Hand” also am 19.01.19 mit Volksverhetzern, Holocaustleugnern und Rassist*innen in Berlin aufmarschieren will, organisert eine andere, neue Gruppe eine Demonstration in Wiesbaden: die Gruppe “Wir sind viel mehr”. Diese wurde von zwei bisher unbekannten Wiesbadenerinnen initiiert und organisiert sich in einer geschlossenen Gruppe auf Facebook mit mittlerweile fast 1000 Mitgliedern aus ganz Deutschland. Unter dem Motto “Schnauze voll” wollen sie am 19.01.19 um 11 Uhr am Hauptbahnhof Wiesbaden starten und vor den hessischen Landtag ziehen. Während der Aufruf ebenso diffus ist wie das Motto selbst, zeigen die geteilten Inhalte wie die Profile der Initiatorinnen doch eindeutig, welches Klientel angesprochen wird.

Trotz Bannmeile soll der Aufmarsch laut Anmelderin auch vor den hessischen Landtag ziehen dürfen.

 

So finden sich immer wieder positive Bezüge zur AfD, zu extrem rechten “alternativen Medien” wie das Compact-Magazin und anderen extrem rechten Organisationen wie “Soldiers of Odin”, “Bekenntnis zu Deutschland” oder das “Frauenbündnis Kandel”, die auch eng mit “Hand in Hand” verzahnt sind. Daneben finden sich allerlei Verschwörungstheorien: Deutschland werde gezielt islamisiert bzw. geflutet, nachdem eine geplante “Umerziehung” nach dem Zweiten Weltkrieg die Deutschen wehrlos gemacht habe. Ohnehin sei Bundeskanzlerin Angela Merkel Teil einer Verschwörung und mindestens so schlimm wie Hitler. Schade sei es daher auch, dass man Politiker*innen nicht einfach aufhängen dürfe. Dazu passt, dass einer der Organisatorinnen AfD-, Verschwörungs- und NPD-nahe Facebookseiten gefallen.

Bezüge zur AfD finden sich sowohl in der Gruppe, wie auch bei einer der Organisatorinnen.

Inhalte von extrem rechten Gruppierungen wie dem “Frauenbündnis Kandel” werden auch von den Adminstratorinnen der Gruppe geteilt.

Historische Bildung im postnazistischen Deutschland wird als Umerziehung und Migration als Flutungsprogramm bezeichnet.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird mit Adolf Hitler gleichgesetzt.

Als “Witz” getarntes Bedauern darüber, dass man Politiker*innen nicht einfach aufhängen kann.

 

Wenngleich “Wir sind viel mehr” darum bemüht scheint, allzu offensichtliche Verbindungen zur extremen rechten zu vermeiden und sich öffentlich von “Rassismus und Rechtsradikalen” distanziert, so mag dies nicht recht gelingen. Die Gruppenkommunikation zeigt, dass “Wir sind viel mehr”, deren Name schon eine Gegner*innenschaft gegen das antirassistische Credo “Wir sind mehr” nach den Aufmärschen in Chemnitz letztes Jahr impliziert, ein Anziehungspunkt von Rassist*innen und Rechten unterschiedlicher Couleur darstellt. Demensprechend droht auch die Demonstration der selbstbezeichneten Wiesbadener “Gelbwesten” am 19.01.19 ein Sammelpunkt eben jenes Klientels zu werden, dass schon am 29.09.18 mit “Hand in Hand” vorm Wiesbadener Hauptbahnhof Stellung bezog.

 

 

 


[1] https://bit.ly/2TPyzcH
https://wiki.sonnenstaatland.com/wiki/Nikolai_Nerling


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