“Es reicht uns”: Hintergründe zur verschwörungsideologischen Kundgebung am 13.03.21

Am Samstag den 13.03.2021 ist eine Großkundgebung in den Reisinger Anlagen in Wiesbaden angekündigt, welche sich gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie richtet. Sie ist dabei Teil einer deutschlandweiten Mobilisierung zu diesem Datum: In allen Landeshauptstädten sollen unter dem äußerst schlichten, wenig konkreten Motto „Es reicht (uns)“ bzw. „Uns reicht’s“ Kundgebungen stattfinden. Dabei rekrutiert sich die Mobilisierung zuvorderst aus dem Spektrum „Querdenken“, „Corona Rebellen“ und weitere Corona-Leugner:innen, wie es seit Beginn der Pandemie bundesweit in Erscheinung tritt. Und auch in Wiesbaden treffen sich seit März letzten Jahres und insbesondere im Sommer/Herbst regelmäßig „Querdenken“ und andere Verschwörungsgläubige in der Stadt. Von Anfang an bestachen diese Versammlungen durch ihre Verschwörungspropaganda, NS-Relativierungen und antisemitische Hetze. Ähnliches ist am 13.03.2021 wieder zu erwarten.

Ursprünglich sollte die Kundgebung vor dem Landtag stattfinden. Nun ist sie, nach eigenen Aussagen wegen der erwarteten Teilnehmendenzahl, auf die Reisinger Anlagen verlegt.

Entwicklung der verschwörungsideologischen Mobilisierung in Wiesbaden

Seit letztem Sommer hat sich in Wiesbaden wenig verändert: Mehr oder minder regelmäßig fanden weiterhin Versammlungen von Querdenken und Personen aus diesem Umfeld statt; meist mit nur wenig Erfolg und noch weniger öffentlicher Resonanz. Mehr als ca. 200 Personen konnten in Wiesbaden bis dato nicht mobilisiert werden. Inhaltlich bewegten sich die Kundgebungen stets im thematischen Rahmen von esoterischem Geschwurbel und verschwörungsideologischem Geraune, über geschichtsrevisionistische Thesen bis hin zu antisemitischen Weltdeutungen, wie er im Artikel “Mehr als schief gewickelt” hier auf dem Blog bereits ausführlich beschrieben wurde.

Insgesamt hat Querdenken in Wiesbaden im Vergleich zum Sommer/Herbst letzten Jahres merklich an Fahrt verloren. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass sich mittlerweile zu fast jeder öffentlichen Veranstaltung aus diesem Spektrum auch Gegenprotest formiert. Dies scheint die Corona-Leugner:innen offensichtlich zu stören. Dementsprechend fanden in letzter Zeit Versammlungen auch eher unangemeldet oder im Umland statt, wie beispielsweise im Rheingau. In der Gesamtschau muss der 13.03.21 daher als Versuch betrachtet werden, die Mobilisierung in Wiesbaden zum Frühjahr wieder anzustoßen; unterstützen dabei sollen auch bekannte Gesichter der regionalen und bundesweiten verschwörungsideologischen Szene.

Regional bekannte Redner:innen für den 13.03. eingeplant

Als alte Bekannte extrem rechter Mobilisierungen in Wiesbaden ist Sandra Scheld als Rednerin für den 13.03.21 angekündigt. Scheld hat die selbsternannten „Gelbwesten“ in Wiesbaden maßgeblich organisiert, bei denen bereits verschwörungsideologische, rassistische und antisemitische Hetze betrieben wurde, und gründete den Zusammenhang „WirSindVielMehr“. Seit Beginn der Pandemie hat sie sich verstärkt dem Spektrum der Corona-Leugner:innen zugewandt und trat neben Wiesbaden als Organisatorin und Rednerin u.a. in Frankfurt a.M., Bad Marienberg und Schmalkalden auf. Dabei wiederholt sie immer wieder, dass sie hinter den Maßnahmen zur Infektionsbekämpfung einen großen Plan vermutet, nämlich in Deutschland erneut ein faschistisches Regime zu implementieren. In geschichtsrevisionistischer Manier wähnt sie sich als Verfolgte und relativiert somit gleichsam NS-Verbrechen. [1]

Bei ihrer Rede im thüringischen Schmalkalden geriert sich Sandra Scheld, knapp zwei Monate nach der NS-Relativierung in Wiesbaden, als Opfer einer maoistischen Diktatur und rief bereits hier dazu auf, vor alle Landtag zu ziehen.

Neben Scheld ist Manfred Hübner als Redner bekannt gegeben. Dieser hat in der Vergangenheit die verschwörungsideologischen Proteste in Limburg angemeldet und organisiert. Aktiv ist er in der Gruppierung „Limburg steht auf“. Nach außen versucht er, als „sachlicher“ Kritiker aufzutreten. Über seinen Blog und seine Social-Media-Kanäle verbreitet er neben allerlei Verschwörungsmythen hingegen auch NS-relativierende Aussagen: Impfungen in Alten- und Pflegeheimen vergleicht er beispielsweise mit den Euthanasieprogrammen des Nationalsozialismus. [2]

„Stars“ der Verschwörungsgläubigen als Zugpferde

Für Zulauf am 13.03. sollen insbesondere zwei bundesweit aktive und bekannte Persönlichkeiten der verschwörungsideologischen Szene sorgen: Thorsten Schulte und Heinrich Fiechtner.

Der „Silberjunge“ Thorsten Schulte propagiert nicht nur bereits seit Jahren Silber als krisensichere Zukunftsanlage und versucht so, aus Unsicherheit und Angst Kapital zu schlagen. Zurzeit tritt dieser immer wieder bei den verschwörungsideologischen „Querdenken“-Protesten in Erscheinung, propagiert antisemitische Verschwörungserzählungen über dunkle Machenschaften und „Marionettenspieler“ oder beschimpfte Abgeordnete im Bundestag, nachdem er sich via Einladung von AfD-Abgeordneten Zutritt verschaffen konnte. In der Vergangenheit war er auch schon bei PEGIDA zu Gast oder sprach von der Abschaffung der Deutschen durch eine „negroide Zukunftsrasse“ und bediente so das extrem rechte Verschwörungsnarrativ vom „großen Austausch“, das rechtsterroristische Attentäter weltweit zur Begründung ihrer Gewalttaten heranziehen. [3]

Heinrich Fiechtner ist seines Zeichens Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, der über die AfD einzog, 2017 austrat und sich nun vor den Landtags- und Bundestagswahlen um eine Wiedereingliederung bemüht. Neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter, bei der er auch bereits polizeilich aus dem Landtag abgeführt werden musste, nachdem er der Landtagspräsidenten vorwarf, Ähnlichkeiten zu NS-Propagandaminister Goebbels aufzuweisen, ist er derzeit im Kontext der Corona-Leugner:innen sehr aktiv. Er zeigt immer wieder ideologische Nähe zur QAnon-Bewegung und vermutet ebenfalls in verschwörungsideologischer Manier einen großen Plan hinter der Corona-Pandemie. Mit Anleihen der Reichsbürgerideologie garniert, betreibt auch er Geschichtsrevisionismus: So verglich er die Impfungen von Demenzkranken mit der NS-Euthanasie und betitelte sie als ein „Versuch im Mengele-Style“. Der Schutz von Menschen vor der Ansteckung mit dem Coronavirus setzt er mit dem Handeln eines der bekanntesten SS-Lagerärzte in Auschwitz, Josef Mengele, gleich und relativiert so ebenfalls die nationalsozialistischen Verbrechen auf perfideste Art und Weise. Fiechtner, der besonders online sehr aktiv ist, hat dabei keine Berührungsängste mit Neonazis: So nahm er auch schon ein Video mit dem umtriebigen Hallenser Neonazi Sven Liebich auf. [4]

Heinrich Fiechtner mit dem Ex-Blood&Honour-Aktivisten Sven Liebich in einem vermeintlich satirischem Video: Fiechtner spricht hier von der MNS-Maske als “Hitlergruß unserer Zeit”.

„Großkundgebung“: Neue Hoffnung oder verzweifelter Versuch

Wie bereits angedeutet, ist die Kundgebung in Wiesbaden sowohl Teil einer bundesweiten Mobilisierung wie auch gleichzeitig der Versuch, die an Schwung verlorenen Proteste der Corona-Leugner:innen in Wiesbaden wieder mit Leben zu füllen. Entsprechend breit wird derzeit mobilisiert: Via Telegram wird die Veranstaltung regelmäßig in einschlägigen Kanälen beworben. Ein eigens eröffneter Kanal, der hessenweit mobilisieren soll, zählt mittlerweile knapp 400 Abonnent:innen; im Vergleich zum Querdenken-Kanal allein für Wiesbaden, in welchem sich aber auch allerhand Personen aus dem Umland und gänzlich anderen Regionen Deutschlands tummeln, mit knapp 700 Mitgliedern doch recht wenig. Ebenso könnte die parallel in Mainz stattfindende Kundgebung zum bundesweiten Aktionstag Personen, die ansonsten auch zu den Veranstaltungen in Wiesbaden gekommen sind, binden.

Über Telegram wird die “Großdemo” massiv beworben; zwei Tage vor der Kundgebung haben knapp 400 Personen den Kanal abboniert.

Mit Blick auf die angekündigten Redner:innen besteht jedoch die Gefahr, dass nicht nur eine größere Zahl an Anhänger:innen dazu mobilisiert werden kann, nach Wiesbaden zu kommen; insbesondere Sandra Schelds Kontakte zu extrem rechten Köpfen der regionalen und überregionalen Szene, wie beispielsweise Torsten Frank aus dem Westerwald, könnte dazu führen, dass ein „erlebnisorientierteres“ Klientel angezogen wird. Dieser hat u.a. gute Verbindung ins extrem rechte Hooligan-Milieu und startete letztes Jahr die Initiative “Forke und Schaufel”, die in der Vergangenheit auch Kundgebungen der Corona-Leugner:innen in Mainz (mit)organisierte und bewarb. [5]

Ebenso möglich ist es, dass die Veranstaltung von Mitgliedern der AfD genutzt werden wird, um einen Tag vor der Kommunalwahl auf Stimmenfang zu gehen. So ist der Wiesbadener AfD-Landtagsabgeordnete und Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Dimitri Schulz in den letzten Monaten dadurch aufgefallen, die Nähe zu Corona-Leugner:innen zu suchen. Er war auch schon bei Großdemos in Berlin zugegen und verteilte dort AfD-Flyer [6]. Vor wenigen Tagen, am ersten März verglich er die vermeintliche Benachteiligungen von Impfgegner:innen mit der Verfolgung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus. Erneut ein altbekanntes Muster: Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen, in diesem Fall vom Gründungsmitglied der „Juden in der AfD“.

AfD-Politiker Dimitri Schulz mit einem NS-relativierenden Post, wie er im Spektrum der Corona-Leugner:innen häufig in ähnlicher Weise zu finden ist.

Ausblick auf den 13.03.2021

Wie sich der kommende Samstag tatsächlich in den Reisinger Anlagen ausgestalten wird, ist aufgrund der diffusen Gesamtlage nur schwer zu bestimmen. Zu befürchten ist jedoch, dass die großspurige Ankündigung einer “Großkundgebung” mit mehr oder weniger bekannten Redner:innen für eine stärkere Mobilisierung als zuletzt sorgen wird. Mit Blick auf die Vernetzungen der (Mit)Oranisierenden und Beteiligten könnte das angesprochene Klientel zudem noch über das übliche “Querdenken”-Spektrum hinaus gehen. Sicher ist jedoch, dass auch dieses Mal Gegenprotest organisiert wird. Dieser beginnt ab 15:30 Uhr rund um die Reisinger Anlagen.

 

 


[1] https://www.wiesbadener-kurier.de/lokales/wiesbaden/nachrichten-wiesbaden/querdenker-demo-in-wiesbaden-ausflug-nach-absurdistan_22248409

[2] https://hl-journal.de/kommentar-gratwanderung-zwischen-corona-kritik-und-rechtspopulismus/

[3] https://www.tagesschau.de/faktenfinder/volksaustausch-103.html

YouTube: Wie der „Finanzexperte“ und Corona-Leugner „Silberjunge“ Antisemitismus befeuert

[4] https://www.fr.de/politik/heinrich-fiechtner-afd-soedolf-hoecke-meuthen-bundestag-verschwoerungstheorie-donald-trump-soeder-baden-wuerttemberg-90207790.html

[5] https://www.ww-kurier.de/artikel/91192-demos-e-v–erstattete-anzeige-gegen-neonazis

https://ka-gegen-rechts.de/wp-content/uploads/2020/09/150_Die_Forke_und_Schaufel_Demo_in_Mainz_am_26_September_2020.pdf

[6] https://twitter.com/KIWi_161/status/1329025464334249985