“Hand in Hand”: Rassistische Mobilisierung in Wiesbaden

Die aus Wiesbaden-Erbenheim stammende Gruppe “Hand in Hand – Gegen die Gewalt auf unseren Straßen” trat das erste Mal im Kontext eines Mordfalls in Erbenheim auf. Waren zu Beginn die Akteur*innen, Strukturen und Hintergründe noch diffus, zeigte vor allem ihre letzte und insgesamt dritte Veranstaltung in Wiesbaden, was ihren Kern ausmacht: Rassismus und Muslimfeindlichkeit. Vermengt wird dies mit allerhand Relativierungen des Holocaust und des Nationalsozialismus sowie einem Hang zu Verschwörungstheorien. Dass ihre Eigenbezeichnung als “besorgte Mütter und Väter aus der Mitte” nicht mehr als bloße Behauptung ist und sie vielmehr ein Teil der bundesweit zu beobachtenden rassistischen Mobilisierung sind, verdeutlicht ein genauerer Blick auf die Hintergründe des Gruppe sowie die Beteiligten und ihre Redebeiträge vom 29.07.18.

Initiatorin von “Hand in Hand”, Yvonne Csokova, beim Grillen mit “Beweg was Deutschland” aus Mainz und mit einem Tattoo der “Schwarzen Sonne”, ein Symbol der SS (rechts: Ornament in der “SS-Ordensburg” Wewelsburg).

 

Hintergründe, Personen, Vernetzung
Was bisher geschah

“Hand in Hand – Gegen die Gewalt auf unseren Straßen” ist eine Gruppe aus Wiesbaden-Erbenheim, die nach dem Bekanntwerden des Mordfalls an Susanna F. aus Mainz zwei Demonstrationen in Erbenheim durchführte. Von Beginn an war die Herkunft des dringend Tatverdächtigen als aus dem Irak Geflüchteter ein Hauptthema. Während die erste, als “Trauermarsch” deklarierte Veranstaltung nur zwei Tage nach Bekanntwerden zwar noch relativ spontan auf die Beine gestellt wurde, war auf dem Transparent, welches den rund 70 Personen starken Aufzug anführte, jedoch bereits ein in der extremen Rechten beliebte Zuschreibung “Opfer der Toleranz” zu lesen. [1]

Dem Aufruf zu einer zweiten Demonstration am 23.06. folgten rund 100 Menschen. Hier verdeutlichte sich die Stoßrichtung der Initiator*innen. Bereits im Vorfeld wurde durch den extrem rechten Blogger Klaus Lelek aus Usingen, der sich selbst gerne “Taunuswolf” nennt, sowie den aus Hennef stammenden, wegen Betrugsvorwürfen aus der AfD ausgeschlossenen Höcke-Unterstützer und Blogger Thomas Matzke Werbung für die Veranstaltung gemacht. Unterstütz wurde die Demonstration vor Ort auch aktiv durch Thomas Gauer und Nico Mandelbaum von “Beweg was Deutschland” aus Mainz. Mit Parolen wie “Merkel muss weg” oder “kriminelle Flüchtlinge – raus raus raus” und vor allem der Rede von Klaus Lelek reihte sich “Hand in Hand” in rassistische Gruppierungen wie PEGIDA ein. Klaus Lelek hielt eine zutiefst menschenverachtende Rede. So sagte er, “hier wird nichts integriert, sondern ein Fremdkörper implantiert, der dieses Land zugrunde richten wird” und entmenschlichte so Geflüchtete in völkischer Manier.

Treibende Kräfte der rassistischen Mobilisierung von “Hand in Hand”

Als Hauptinitiatorin tritt Yvonne Csokova aus Wiesbaden-Erbenheim in Erscheinung. Sie ist es, die durch die Veranstaltungen leitet und die überregionale Vernetzung vorantreibt. So hielt sie als Vertreterin von “Hand in Hand” auch eine Rede auf der Kundgebung von “Beweg was Deutschland” am 21.07.18 in Mainz. Hier sagte sie auch, dass sie schon als Teilnehmerin auf vorherigen Kundgebungen anwesend war. Auf Facebook gefallen ihr einschlägige Seiten wie “Erfurt zeigt Gesicht”, “Klartext für Deutschland – FREI statt bunt”, “Wir für Deutschland – WfD e.V.“ sowie eine Reihe von AfD- und AfD-nahen Seiten. Auch selber verbreitet sie rassistische und verschwörungstheoretische Posts. [2]

NWO, Chemtrails und Überfremdung: Rassistische Verschwörungtheorien werden von Yvonne Csokova auch online verbreitet.

 

Daneben traten zum zweiten Aufzug Sarah Kern, Sarah Seitz sowie Yvonnes Mann, Maros Csoka, als Gastgeber*innen der FB-Veranstaltung auf. In Kommentarspalten unter Berichten über die Gruppe sind auch sie es, die das Image von den “besorgten Müttern und Vätern” zu verteidigen suchen. Daneben macht eine gewissen Nicole Schmickler vermehrt durch Online-Aktivitäten, bspw. FB-Kommentare im Namen der Gruppe, wie auch auf der Kundgebung am 29.07. verstärkt auf sich aufmerksam. Neben einem Umfeld von Unterstützer*innen aus Erbenheim sind es “Wutbürger*innen”, “Reichsbürger*innen” und Rassist*innen aus verschiedenen Regionen Deutschlands, welche die Gruppe online verfolgen und unterstützen, wenngleich ihr reales Mobilisierungspotenzial bisher gering bleibt.

Etablierung eines extrem rechten Netzwerks

Die Erbenheimer Gruppe rief neben “Beweg was Deutschland”, die schon eine ganze Reihe von Kundgebungen in Mainz abgehalten hat, für den 21.07. zu einer Kundgebung in Mainz auf. Zu dem Bündnis zählten auch die “Patrioten NRW” sowie das “Frauenbündnis Kandel”. Die Kundgebung kann als Kulminationspunkt der überregionalen Vernetzung von “Hand in Hand” gesehen werden, um in Zukunft die eigene Infrastruktur zu stärken und ihr Mobilisierungspotenzial zu vergrößern.

Das “Frauenbündnis Kandel” wurde vom umtriebigen Rassisten Marco Kurz gegründet, der 2017 bereits den “Marsch 2017” recht erfolglos betrieb. Das Ziel, mit 500.000 Menschen nach Berlin zu marschieren und die Regierung zum Rücktritt zu zwingen, wurde verfehlt. 2018 machte Kurz vor allem im Kontext der Aufmärsche in Kandel auf sich aufmerksam: Hier wird seit Monaten ein Mordfall für rassistische Hetze instrumentalisiert. An seinen Veranstaltungen nahmen extrem Rechte alle Couleur teil, darunter bekannte Neonazis und gewaltbereite Hooligans. Im Rahmen des Aufmarsches vom “Frauenbündnis Kandel” am 07.07. wurden Personen, die mit einer geladenen Schreckschusswaffe, einem Teleskopschlagstock, einer Schreckschusspistole und Pfefferspray unterwegs waren aufgegriffen, nachdem sie eine schwarze Person rassistisch beleidigten. [3]

Die Mainzer “Beweg was Deutschland”, die sich zunächst als “Merkel muss weg Mainz” in Anschluss an die extrem rechten Hamburger Kundgebungen gründeten, ist mittlerweile eng mit “Hand in Hand” vernetzt. An den Mainzer Kundgebungen nahmen in der Vergangenheit auch Mitglieder von NPD/JN, der “Identitären Bewegung”, AfD/JA sowie freien Kameradschaften teil. Anhand vieler Reden sowie der stets präsenten “Leine des Grauens” von Robert V., die das vermeintlich erschreckende Ausmaß an Kriminalität seit dem Zuzug von Geflüchteten zeigen soll, machte “Beweg was Deutschland” schon oft deutlich, dass es ihnen zuvorderst darum geht, Hass gegen Geflüchtete zu schüren. So war auch bei der Kundgebung am 21.07. die Gleichsetzung von Geflüchteten und (muslimischen) Migrant*innen mit “Invasoren”, “Mördern” und “Vergewaltigern”, ihre angebliche Bevorzugung sowie ein drohender Bürgerkrieg herausragende Themen. Fehlen durfte auch nicht die Diffamierungen der “Lügenpresse” und Regierender als “Volksverräter”.

 

29.07. in Wiesbaden: extrem rechte Reden auf dem Dern’schen Gelände
Einordnung der Kundgebung

Für den 29.07. rief “Hand in Hand” zu einer Kundgebung auf dem Dern’schen Gelände auf. Online kursierten gleich zwei Themen für die Veranstaltung: Flüchtlingspolitik und die Gewalt auf unseren Straßen!“ sowie “Die Rückkehr des Grauens und Banalisierung des Bösen im Fall von Susanna, Nikola, Mia und vielen anderen.“ Während das erste Motto die Anschlussfähigkeit auch an Diskurse außerhalb des extrem rechten Spektrums zu wahren versuchte, zielte das zweite auf ein bereits “vorinformiertes” Publikum ab, dass auch mit den weiteren Namen etwas anzufangen weiß. Vorab wurde bereits die Unterstützung der Veranstaltung durch “Beweg was Deutschland” sowie das “Frauenbündnis Kandel” angekündigt. Anwesend war auch Robert V. mit der o.g. “Leine des Grauens”. Dem Aufruf folgten schließlich rund 60 Personen, wobei die Zahl der Teilnehmenden während der Kundgebung schnell sank. Beiträge gab es vor allem von Personen, welche bereits bei “Hand in Hand” oder “Beweg was Deutschland” aufgetreten sind: Yvonne Csokova, Klaus Lelek, Nicole von “Hand in Hand”, Julia vom “Frauenbündnis Kandel”, Robert V., Ernst Cran, “Gerhard aus Hanau” sowie Thomas Gauer.

“Hand in Hand”-Kundgebung am 29.07.: Nur wenige waren bei der Rede von Yvonne Csokova auf dem zentralen Platz in Wiesbaden anwesend, mehr schauten den Livestream. Vorne rechts Nicole Schmickler von “Hand in Hand”.

 

Themen
Holocaust- und NS-Relativierung

Die erste Rede nach der Eröffnung der Kundgebung hielt Yvonne Csokova. In einer frei flottierenden Assoziation, ausgehende vom Fundort der Leiche von Susanna F. in der “Kalkgrube in Erbenheim”, in einem Gebiet, dass ihr als “unterm Kalkofen” bekannt ist, weckt sie gezielt Bezüge zum Holocaust: “Kalk auf Massengräber. [Hat man damals nicht] Männer, Frauen und Kinder in Öfen verbrannt, die genauso aussahen wie die Kalköfen? […] Hat man sie nicht verbrannt, weil sie wie Susanna Juden waren? […] heute stinkt das ganze Land, das ganze Land ist eine Kalkgrube und ein Kalkofen geworden.” Aus der Zufälligkeit der Namensgebung des Fundortes entwickelt Yvonne Csokova einen kausalen Zusammenhang mit dem Holocaust. Sie behauptet, dass erneut ein Holocaust in Deutschland stattfinden würde, dass diesmal jedoch Geflüchtete und Migrant*innen die Täter seien und die, wie auch immer abgrenzbare Bevölkerung Deutschlands, die heutigen Opfer. Über die vermeintlichen neuen Täter hinaus gebe es aber noch weitere schuldige, die sie nicht direkt benennt. So fragt sie:

“Das Grauen ist zurück, wer hat diese Bestien ins Land gelassen, wer verteidigt sie und gibt uns zur Vergewaltigung frei?”

Und weiter: “Das ist fast so wie damals 42, als mein Urgroßvater ins KZ gesperrt wurde, weil er Sinti war, weil er ein Zigeuner war. So wie damals, als mein Opa in einer Kalkgrube oder in einem Kalkofen verschwand”.  Zum Abschluss ihrer Rede betont sie erneut die Rückkehr des “Grauens”, was sie bewusst doppeldeutig auf die Rückführung des dringend Tatverdächtigen durch deutsche Strafverfolgungsbehörden nach seiner Flucht zurück in den Irak sowie auf den Holocaust bezieht: “Das Grauen ist zurück. Juden werden wieder in den Straßen verprügelt, Frauen vergewaltigt und abgestochen. Die Kalkgruben und Kalköfen stehen wieder bereit. Ich muss aufhören. Dankeschön.” Wenngleich ihr Großvater nach eigener Aussage Opfer des Porajmos, der antiziganistischen Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus geworden ist, rechtfertigt dies nicht die Gleichsetzung von Geflüchteten und Migrant*innen mit den willfährigen Vollstreckern des Holocaust. Mehr noch: Zum einen unterstellt dies eine umfassend geplante und gelenkte Vorgehensweise (mehr beim Thema Verschwörungstheorien) und relativiert zum anderen die Singularität des Holocaust als systematische sowie industrielle Vernichtung von als “lebensunwert” klassifizierten Leben in einem spezifischen gesellschaftlichen, politischen und historischen Kontext. Auch den in Deutschland in allen sozialen Schichten und Milieus verbreiteten Antisemitismus nutz sie lediglich in der unterkomplexen Form eines “Antisemitismus der Anderen” oder “importierten Antisemitismus” als Vehikel für ihre eigene Agitation. [4]

Auch in der zweiten Rede, gehalten von Klaus Lelek, ist die Relativierung des Holocaust sowie des Nationalsozialismus insgesamt zentraler Angelpunkt. Der für ihn zentrale Begriff der “Banalität des Bösen”, den er in Anlehnung an die Beobachtungen der Philosophin Hannah Arendt im Prozess gegen Rudolf Eichmann in perfider Weise wendet und mit großer analytischer Unschärfe gebraucht, stellt er dabei besonders heraus. Dementsprechend startet er mit der Einführung, dass “Rudolf Eichmann, der große Vollstrecker des Holocaust”, nach Ende der Zweiten Weltkriegs vermeintlich ein “krimineller Asylbewerber” war, denn, so seine Argumentation: “Maßgeblich zur Flucht verholfen hat ihn ein Flüchtlingsausweis, ausgestellt vom Internationalen Roten Kreuz. Eichmann war ein Asylbewerber, er war ein krimineller Asylbewerber, […] dem mit gefälschten Papiern die Flucht gelang. Das kommt einem doch besonders in Wiesbaden bekannt vor.” Direkt zu Beginn setzt er also eine wesentliche Figur der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie mit Geflüchteten von heute gleich. Sein eigentliches Augenmerk aber richtet er im weiteren Verlauf auf die Ebene der Regierenden, der Justiz sowie der Medien. Lelek weiter: Als Arendt in den Gerichtprozess kam, sah sie kein “Monster”, sondern einen “kleinen schmächtigen Mann mit schütteren Haaren, ein Bürokraten-Typ, der rein äußerlich betrachtet auch heute wieder ein Ministeramt bekleiden könnte. So ein Buchhaltertyp mit Hornbrille, der auch heute gut in eine Behörde passen würde [Demonstrant: HAHAHA, Heiko Maas; Anspielung auf ein Cover des extrem rechten “Compact”-Magazins]. Zur BAMF z.B. oder in einen Gerichtssaal, nicht als Angeklagter, sondern als Staatsanwalt oder Richter”. Eichmann versuchte “seine unglaublichen Verbrechen mit bürokratischen Wortblasen und Floskeln zu bagatellisieren. Er versucht nach dem gleichen Muster wie heute Staatsanwälte Morde, Vergewaltigungen und Messerattacken banalisieren, den Völkermord auf eine Formaleben herabzustufen.” Auch Lelek stellt hier, ähnlich wie Csokova, heraus, dass erneut ein “Völkermord”, ein Holocaust stattfinden würde. Während Geflüchtete und Migrant*innen die Vollstrecker seien, würden Politik und Justiz den Rahmen hierfür schaffen. “55 Jahre nach Eichmanns Tod und 73 Jahre nach Schließung der Konzentrationslager werden nicht nur Juden wieder beleidigt, bedrängt, geschlagen […], auch die Massenmörder und ihre Anhänger werden wieder mit offenen Armen in Deutschland empfangen. Männerhorden die ähnlich wie die SS unter Führung des IS [Kriegsverbrechen verübt haben], bekommen einen Schutzstatus zugebilligt, Kost und Logis und natürlich Geld und juristischen Beistand.” Erneut werden Geflüchtete also mit den Vollstreckern der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gleichgesetzt und die Singularität des Holocaust aufgehoben. Der Staat, der im Geiste der Nazis agiere, unterstütz dies angeblich aktiv durch sein Handeln. “Was für ein krankes System”, formuliert Lelek weiter.

“73 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist manches Leben heute so viel wert, wie das Leben eines KZ-Häftlings”, und meint damit die Leben der (vermeintlich) von Migrant*innen Getöteten. “Wir sind zum Abschlachten und Vergewaltigen freigegeben”.

 

Zusammenfassend zeigen sich bereits zu diesem Thema, welches bei der Veranstaltung insgesamt sehr präsent war und bereits in einem der zwei kursierenden Ankündigungen für die Kundgebung angedeutet wurde, vielfältige Überschneidungen mit extrem rechten Diskursen: Die Relativierung des Holocaust, Täter-Opfer-Umkehr, “Völkermord” an den Deutschen, “importierter Antisemitismus”, stereotypisierte Verteufelung der “Politkaste”. In Verbindung damit stand immer wieder die Diffamierung von Geflüchteten und Migrant*innen, die in anderen am 29.07. gehaltenen Reden noch stärker in den Vordergrund gestellt wurden.

Rassistische Hetze gegen Geflüchtete, Migrant*innen, schwarze Menschen und Muslim*innen

Robert V. von der “Leine des Grauens” bediente in seiner Rede das klassische Repertoire rassistischer Hetze. Über einen emotionalisierenden Einstieg, bei welchem er aufzählte, was ihm an den vermeintlich immer schlimmer werdenden Zuständen alles “schmerzt”, sagte er recht wenig über den Mordfall in Erbenheim, außer dass dort “ein Kulturfremder mit anderen Barbaren Susanna F. vergewaltigt und bestialisch umgebracht hat, ermöglicht durch linke Gutmenschen und unfähige Politiker”.

Schuld daran seien schließlich “offene Grenzen, und wenn sie zum Schein geschlossen werden, fliegen sie uns nachts die Kriminellen und Terroristen ein. In Nordafrika haben sie ihre Klappsmühlen und Gefängnisse geleert und Kranke und Verbrecher zu uns geschickt, dazu noch große Teile der IS-Armee und sonstige Terroristen. Immer nach dem Motto: ‚teile und herrsche‘.”

Robert V. setzt hier Geflüchtete mit Kriminellen, Terroristen und psychisch Kranken gleich und bedient das Narrativ von der durch die Politik aktiv geförderten “Einfuhr” potentiell lebensbedrohlicher, zumindest aber durchweg gefährlicher Menschen, schließlich seien es “80% kampffähige junge Männer.” Und aus seiner Sicht haben “Die Verteilungskämpfe um die Weibchen […] schon angefangen. Und die um Wohnraum laufen auch schon. Und um Billigjobs werden die Kämpfe auch bald beginnen. Die deutschen flaschensammelnden Rentner haben jetzt auch schon Konkurrenz bekommen und Obdachlose zündet man einfach mal an.” Geflüchtete und Migrant*innen werden also als zuvorderst als Konkurrenz konstruiert. Ob die Menschen tatsächlich mehr hätten, wenn keine Migration stattfinden würde, ist dabei egal. In sexistischer Manier werden Frauen zur Verfügungsmasse von jungen Männern erklärt; nicht der kapitalistische Gesamtzusammenhang, der für Wohnungsnot, erniedrigende “Billigjobs” oder Altersarmut verantwortlich ist, wird thematisiert, sondern Sozialneid befeuert und Abstiegsangst auf Geflüchtete und Migrant*innen projiziert, ganz nach dem rassistischen Slogan “die Ausländer nehmen uns die Arbeit weg”.

Auch ein weiterer Redner, Ernst Cran, Ex-Pfarrer aus Franken [5]. Der nach eigenen Aussagen wegen Körperverletzung vorbestrafte und auf den Bühnen rassistischer Aufmärsche zurzeit äußerst umtriebige Ernst Cran, gegen den derzeit Ermittlungen wegen Volksverhetzung laufen, fiel durch zutiefst muslimfeindliche, rassistische Hetze auf. Bekleidet mit einem Shirt, dass die Wirmer-Flagge zeigt, ein Symbol, dass auch schon der Holocaustleugner Horst Mahler für sein “Deutsches Kolleg” nutzte und bei PEGIDA-Aufmärschen wie auch der “Hand in Hand”-Kundgebung allgegenwärtig ist, begann er zunächst mit einer pseudo-theologischen Einführung. Es sei überlebenswichtig, sich auf die göttlich-geschwisterliche Verbundenheit zu besinnen, “weil wir sonst weggefegt werden vom Toben und Wüten des Bösen um uns herum. Es ist deshalb so wichtig, weil uns sonst der Halt fehlt, uns den Vernichtungskräften entgegenzustellen.” Recht schnell folgte darauf ein typisch muslimfeindliches Narrativ: Die angeblichen vier Stufen der islamischen Eroberung. “Stufe 1: Infiltration. Muslim*innen wandern in ständig anwachsenden Mengen in nicht-muslimische Länder ein und werden die beginnenden, kulturellen Konflikte oft noch ganz subtil sichtbar, spür-bar, ahnbar. Stufe 2: Konsolidierung der Macht. Muslimische Immigranten und Konvertierte des Gastlandes fahren fort, immer mehr Forderungen zu stellen, hinsichtlich eines Entgegenkommens des Gastlandes, der Gastkultur, bei Themen wie Beschäftigung, Erziehung, Ernährung, Sozialleistungen, Gerichtswesen. Stufe 3: Offener Krieg um Herrschaft, Kulturhoheit. Offen gezeigte Ge-walt, um das Schariarecht und andere kulturelle Einschränkungen aufzuzwingen. Ablehnung der Staatsgewalt des Wirtslandes, Unterwerfung der anderen Religionen und Sitte. Stufe 4: Der totalitäre islamische Gottesstaat: Der Islam wird zur einzigen, religiösen, politischen, rechtlichen, kulturellen Ideologie. […] Für mich persönlich fühlt es sich so an, wie der Raum zwischen 2,8 und 3,2. […] Unser Alltag wird immer mehr zum Krieg gegen die drohende Unterwerfung.” 16% Mohammedaner brauche es, “um den Staat unrettbar innerhalb von 5 Jahrzehnten zu einer muslimischen Diktatur werden zu lassen. Und Freunde, wir sind auf dem Weg dahin. Zweistellig ist der Moslemanteil allemal.” Ernst Cran bedient sich hierbei einem extrem rechten Mythos, der häufig genutzt wird, um gegen Muslim*a zu hetzen: Mit der Konstruktion einer fundamentalen Feindschaft zwischen dem “christlichen Abendland” und der islamischen Welt wird vor einer angeblichen “Islamisierung” gewarnt, welche mit Gewalt, Erniedrigung und Unterwerfung einhergehe. Allen Muslim*a wird unterstellt, sie wären heimtückisch verschworen und würden den Plan verfolgen, durch gezielt Zuwanderung oder den bei extrem rechten so bezeichneten “Geburten-Dschihad” eine “kritische Masse” zu erzeugen und schließlich die Kontrolle zu übernehmen. Noch deutlicher wird Ernst Crans muslimfeindliches und rassistisches Welt- und Menschenbild, wenn der Blick auf das an seine Rede angeschlossene Lied, wobei er vor allem im Chorus von den Anwesenden kräftig unterstütz wurde, geht. Folgend der komplette Liedtext:

“Wir brauchen keine Neger mehr, es sind schon viele da. Und ihr habt doch noch so viel Platz in Afrika. Ihr braucht nicht übers Wasser, dann fallt ihr auch nicht rein. Ihr wollt eure Familien, mensch, dann bleibt doch daheim. Say it clear and say it loud, Rapefugees go home and out […]. Ja, wir wollen keine Messerer, wir wollen keine Gewalt, wir wollen in Frieden leben, macht euch doch selber kalt. Geht heim in eure Stämme, den Weg kennt ihr ja schon, denn bei uns da ist und bleibt die Zivilisation. Say it clear and say it loud, Rapefugees go home and out […]. Wir wollen keine Minarette und keine Moscheen, weil ja bei euch daheim auch nicht so viele Kirchen stehen. Ihr schlachtet gerne Christen und schändet ihre Frauen, von uns fordert ihr Toleranz mit Blut an euren Klauen. Say it clear and say it loud, Rapefugees go home and out […] Die Leine dieses Grauens blutet quer durchs bunte Land und die sie weiter stricken, sind sehr genau bekannt. Say it clear and say it loud, Rapefugees go home and out […]. Denn Islam, Koran und Mohammed, ihr habt hier nichts verloren, durch euch da wird doch lediglich Faschismus neu geboren. Und tut nicht so belämmert, als wärs ne Relgion. Was ihr wollt ist die Weltherrschaft, wir jagen euch davon! Say it clear and say it loud, Rapefugees go home and out […].”

Nicht nur benutzt er eine rassistische Sprache und Sprachkodes der extremen Rechten („Rapefugees”, “Messerer”,); er unterstellt Migrant*innen aus Afrika und schwarze Menschen insgesamt eine minderwertige, unterentwickelte Kultur, die vor allem durch Gewalt geprägt sei. Er wertet sie so ab, dass es ihm auch egal zu sein scheint, wenn eben diese Menschen im Mittelmeer ertrinken. Und auch seine Muslimfeindlichkeit kommt erneut zum Ausdruck: Er setzt den Islam als ganzes mit dem Faschismus gleich, unterstellt Muslim*a, dass sie nur Gewalt kennen würden und den Willen zu Weltherrschaft besäßen.

Verschwörungstheoretische Unterfütterung

Wie sich schon in den bisher analysierten Reden nachzeichnen ließ, sind Verschwörungstheorien ein Thema, das quer durch alle Reden ging, mal mehr, mal weniger explizit. Besonders die letzte Rede von Thomas Gauer weist vielfältige Bezugspunkte auf. Nachdem er anhand einer Anekdote von seinem Großvater Parallelen von der Gegenwart zur Vorkriegszeit sowie dem Nationalsozialismus zieht, fragt er: “Und die Grünen? Das war doch mal eine Friedenspartei. Seit dem Kosovo-Krieg haben sie aber ihr Gewand gegen Olivgrün getauscht. Joschka Fischer sagt 1999 […]: ‘Frieden setzt voraus, dass Menschen nicht ermordet, dass Menschen nicht vertrieben, dass Frauen nicht vergewaltigt werden. Dass setzt Frieden voraus.’ Und wenn wir diese Deklaration heranziehen, dann haben wir KRIEG!” Dass dies noch nicht allen bewusst sei, liege vor allem an einer absichtsvoll manipulierten und manipulierenden Medienberichterstattung: “Informiert Euch! Es gibt so viel Quellen, die außerhalb der Systempresse liegen. Und diese zeigen ein ganz anderes Bild, als man uns hier weißmachen möchte.” Thomas Gauer bedient hier das extrem rechte Narrativ von der “Lügenpresse”, welche mit “Systemschreiberlingen” das “Volk” desinformiere und nicht über die eigentlich katastrophalen Zustände berichten würde. Sein Großvater aber habe ihm schon früh eingebläut, dass Krieg schlecht sei. Dies sei auch der Grund, weshalb er “Widerstand” leiste: “Weil Krieg steht und bevor!”. Es bestünde noch die Möglichkeit, “das Blatt noch zu wenden. Wir können aus der Geschichte lernen. Damit sich eine solche Katastrophe [gemeint ist der Zweite Weltkrieg] nicht wiederholt. Aber dazu müssen wir uns befreien von den ganzen Lügen der Systempresse.” Thomas Gauer konstruiert in seiner Rede also eine historische Parallel zum Vorkriegsdeutschland bzw. setzt die Gegenwart mit dem Zweiten Weltkrieg gleich. Doch im Gegensatz zu früher werde “der Krieg nicht mit Soldaten geführt [Gemeint sind Geflüchtete, die er mit Kombattanten gleichsetzt]. Dennoch wird er geführt, gegen die eigene Bevölkerung.” Von wem dieser vermeintliche Krieg gelenkt wird, wer also diejenigen sind, welche die “eigene Bevölkerung” mithilfe von Geflüchteten und Migrant*innen bekämpft, löst er im weiteren Verlauf, wenn auch vage, auf:

“Diese ganze Situation, die Leine des Grauens, was in Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt passiert, das ist geplant. […] Teile und herrsche, das alte Spiel. Und die Presse, […] ist der Steigbügelhalter genau dieser Elite, die sich nur die Finger reibt, wenn wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen. Aber eure Machenschaften sind mittlerweile aufgedeckt, eure Verbindungen sind enttarnt und eure Motivation offengelegt. Wir lassen uns von euch nicht mehr spalten. Wir sind Bürger aus der Mitte, die zusammenstehen gegen die kriminellen Machenschaften von Politik und Medien.”

Thomas Gauer sieht also mächtige Machenschaften am Werk; Eliten, die weltweit Einfluss hätten. Er spricht von Eliten, Politik und Medien, wird dabei aber nicht konkreter. Er behauptet lediglich, die vermeintlich reale Weltverschwörung wäre schon aufgedeckt. Thomas Gauer bedient sich hier sprachlicher Codes, die für “Weltverschwörungstheorien” typisch sind und nicht selten ihre Auflösung in antisemitischen Ressentiments finden. Wenngleich er hier nicht explizit wird und bspw. die bei Antisemit*innen beliebte Personifisierung “Soros” bemüht, der angeblich hinter den “Umvolkungsplänen” stünde, so werden die geneigten Zuschauer seine Rede eben in diesem Sinne verstehen. Diese Umwegkommunikation hängt mit der weitestgehenden Tabuisierung vulgär-antisemitischer Äußerungen zusammen. Auch spielt der Kontext der Kundgebung, deren vermeintlicher Bezugspunkt eine ermordete Jüdin ist, sicher eine Rolle. Daher schimpft Thomas Gauer lieber über den “weltverschwörerisch” verbundenen Pakt von Politik, Medien und “Eliten”. Doch dass das Wettern gegen die Stereotypisierung von Politiker*innen, Bürokrat*innen oder Medienschaffende, kurz: “die da oben” mit dem Antisemitismus verwandt ist, stellte schon Adorno in seinen “Studien zum autoritären Charakter” heraus, wenn er “die Bürokraten oder die Politiker” den “gerade greifbaren Ersatz für das eigentliche Haßobjekt, die Juden” nennt. [6]

Wie schon angedeutet, sind auch anderen Reden der Kundgebung verschwörungstheoretische Anknüpfungspunkte inhärent: Geflüchtete und Migrant*innen werden von politisch Verantwortlichen ins Land geholt, die Justiz bevorzugt absichtlich diese Personengruppen und Einheimische werden systematisch benachteiligt, unterdrückt sowie zum Vergewaltigen und Ermorden freigegeben. Auch in diesem thematischen Kontext sind die Reden eindeutig im Rahmen extrem rechter Narrative zu betrachten. Sie nutzen dieselben sprachlichen Codes, konstruieren dasselbe Weltbild und bedienen dieselben Ressentiments.

Legitimierung von Gewalt

In letzter Konsequenz befürworteten und befeuerten alle Reden gewaltvolles Handeln, das als “Notwehr” oder “Widerstand” konstruiert wird. Mithilfe von entmenschlichenden Gleichsetzungen, angstschürenden Erzählungen sowie der Beschwörung eines, wenn nicht schon gegenwärtigen so doch drohenden, Bürgerkrieg werden gewalttätige Handlungen in den Horizont möglicher Verhaltensweisen verschoben. Thomas Gauer stellt dies heraus, wenn er an “Polizisten, Beamten und Richter” appelliert:

“Ihr seid diesen Politikverbrechern nichts schuldig. Es ist euer Job, die Gesetze einzuhalten und der einzige, der über euch steht, ist das Gesetz selbst. Wenn ihr es nicht tut, wird es die Bevölkerung irgendwann selbst tun. Und liebe Polizisten, Beamte und Richter ich frage euch: Wollt ihr das? Soll es wirklich soweit kommen? Ich will das nicht. Und ich glaube zu diesem Punkt wollen wir alle nicht hin.”

Er droht also indirekt damit, dass, wenn die Staatsgewalt nicht in ihrem Sinne handeln würde, es unausweichlich zu Gewalttaten kommen würde, markiert als “Notwehr”. Die “Objekte” ihrer Gewalt nehmen die zahlreichen Diffamierungen und Entmenschlichungen voraus: Geflüchtete und Migrant*innen, die sie als “Invasoren” oder “Krieger” markieren und in absolute Gegnerschaft zur “einheimischen Bevölkerung stellen. In Kombination mit dem angeblichen Staatsversagen, Sicherheit zu garantieren bzw. der willentlichen “Freigabe” der Bevölkerung zur “Vergewaltigung, Folter und Mord” durch einer zur “Diktatur” ausgewachsenen Einheit von Politik, Justiz und Medien wird so nur ein möglicher Ausweg gezeichnet, nur eine Möglichkeit “das Blatt noch zu wenden”, wie Thomas Gauer formuliert: Nämlich der Widerstand gegen die vermeintliche “Vernichtung” mit allen Mitteln. Zusammenfassend kann also konstatiert werden, dass mit der Konstruktion einer fast ausweglosen Situation durch die Gleichsetzung gegenwärtiger Verhältnisse mit diktatorischen Zuständen, Vernichtung und Krieg wird Gewalt legitimiert. Und dass Worte zu Taten werden können, dass rassistische Agitation in rassistischen Anschlägen, Pogromen und Morden seinen Widerhall findet, zeigen in historischer Rückschau die 90er Jahre: Während die sog. “Asyldebatte” mit rassistischen Abwertungen geführt wurde, kam es in Hoyerwerda, Solingen, Mölln oder Rostock-Lichtenhagen zu Pogromen gegen Geflüchtete und Migrant*innen, zu Brandanschlägen auf Wohnhäuser mit einer Vielzahl an Mordopfern und schließlich zu einer Radikalisierung extrem rechter Zusammenhänge, aus denen auch der NSU entstand.

 

Zusammenfassung

Abschließen lässt sich nach der Analyse der personellen wie organisatorischen Hintergründe und vor allem der auf der am 29.07. veranstalteten Kundgebung von “Hand in Hand” gehaltenen Reden sagen, dass hier extrem rechte Narrative vorherrschende sind und der Wille besteht, durch Vernetzung die Möglichkeiten der Mobilisierung auszubauen. War “Hand in Hand” zu beginn noch recht diffus und herrschte in vielerlei Hinsicht Unklarheit darüber, wie sie einzuordnen sind, so zeigte spätesten der 29.07. deutlich, wessen Geistes Kinder sich hier aufstellen: Menschenverachtende Hetze, unsägliche Relativierungen und Legitimierung von Gewalt sind elementare Teile der Propaganda. Dementsprechend sind sie im Kontext der bundesweiten rassistischen Mobilisierung zu betrachten. Wie PEGIDA, HoGeSa, “Merkel muss weg” oder ähnliche, rassistische Gruppierungen im vermeintlich harmlosen Gewand der Besorgten gilt es auch hier, äußerst wachsam zu sein. Auch wenn sie keine Gelegenheit auslassen, sich als Teil einer vermeintlichen Mitte auszugeben, betreiben sie eindeutig das Geschäft extrem rechter Agitator*innen.

 

 

 

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[1] http://www.wiesbadener-kurier.de/lokales/rhein-main/trauermarsch-fuer-ermordete-susanna-aus-mainz-in-wiesbaden-erbenheim_18828885.htm

[2] http://archive.is/d15SB

[3] http://www.beobachternews.de/2018/07/12/protest-zwingt-frauenbuendnis-zu-einem-umweg

[4] https://www.bim.hu-berlin.de/media/Abschlussbericht_Flucht_und_Antisemitismus_SA_JK.pdf

https://www.stiftung-evz.de/fileadmin/user_upload/EVZ_Uploads/Handlungsfelder/Handeln_fuer_Menschenrechte/Antisemitismus_und_Antiziganismus/BBK-J5998-Pears-Institute-Reports-GERMAN-FINAL-REPORT-180410-WEB.pdf

[5] https://www.endstation-rechts-bayern.de/2018/04/bachmann-und-stuerzenberger-in-muenchen-pegida-teilnehmerzahl-brach-stark-ein/

https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.evangelischer-priester-ernst-cran-vom-pfarrhaus-auf-die-pegida-buehne.d9fd1f3a-374e-46b7-8634-ccefe7326174.html

[6] Vgl. Adorno, Theodor W.: Studien zum autoritären Charakter, S. 124.


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